2024

< an den erweiterten Blick
Johannes Raimann und Isabella Til
DBCA, Düsseldorf-Flingern

Click to watch the summary artist talk between Johannes Raimann and Isabella Til from 26 Oct 2024.
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AN DEN ERWEITERTEN BLICK
(please scroll for English text)

In der Ausstellung < an den erweiterten Blick untersuchen Isabella Til und Johannes Raimann das Verhältnis von Körper und digitaler Technik. Dabei richten sie ihren Blick sowohl nach innen als auch nach außen. Im Inneren wird der persönliche Umgang mit diesen Technologien sichtbar, während der Blick nach außen die gesellschaftlichen Bedingungen aufzeigt. Auch die Herstellungsweise der Kunstwerke wird einbezogen, wobei digitale und analoge Werkzeuge und Techniken ineinander greifen.

Der bewusste menschliche Blick, das Wahrnehmen durch das Auge, ist ein Prozess, der nicht nur unsere Sinnesorgane und unser Gehirn betrifft, sondern auch unsere Emotionen und gespeicherten Erfahrungen einbezieht. Dieser Vorgang führt uns zu bestimmten Einstellungen und Handlungen. Die westliche Geschichte bezeichnet diesen Wesenskern als Intelligenz, Ich oder Geist, in dem wir erworbene Informationen speichern. Fast alle menschlichen Seinsfragen berühren das Verhältnis von Körper und Geist und weiter, wie diese Erkenntnisse kulturell gespeichert werden können.

Die Menschheit hat im Laufe der Zeit verschiedene Werkzeuge entwickelt, um Wissen und Erkenntnisse zu speichern und weiterzugeben. Diese reichen von der Keilschrift über den Buchdruck und Bibliotheken bis hin zu den nahezu unendlichen Kapazitäten der elektronischen Speicher. (1) Gleichzeitig bestand immer ein Misstrauen gegenüber jedem neuen Medium. Platons Schriftkritik (ca. 400 v.Chr.) beispielsweise argumentierte, dass das Aufschreiben Vergesslichkeit fördere und ein unmittelbares Verinnerlichen des Gelernten verhindere.

Wenn man diese intensive Art des Aufnehmens als Ziel im Auge behält und bedenkt, dass jedes Medium nur eine Simulation des menschlichen Denkens sein kann, wird der Werkzeugcharakter, selbst von Künstlicher Intelligenz, offenbar. Das komplexe Zusammenspiel von menschlichem Körper und Geist ist schwer zu entschlüsseln und ebenso schwer zu ersetzen. Dennoch eröffnet die Auseinandersetzung mit technischen Apparaten Möglichkeiten, solange man sich nicht von ihren strahlenden Effekten blenden lässt. Es ist wichtig zu erkennen, dass ein neues Medium nicht notwendigerweise ein altes ersetzt, sondern ergänzend wirkt.
Beide Künstler sind keine blauäugigen Digitalutopisten, sondern versuchen in ihren Arbeiten das verantwortungsvolle Wechselspiel zwischen menschlichen und technischen Fähigkeiten und Phänomenen anzusprechen.

Isabella Til benutzt den Computer seit 1988 als Zeichenwerkzeug. Die Entscheidungen während dieses überzeitlichen Vorgangs kann sie analytischer treffen, als bei ihrem gestisch-expressiven Umgang mit dem traditionellen Material Farbe. Die digitalen Techniken geben ihr dabei im spielerischen Gebrauch die Möglichkeit ebenso überraschende Ergebnisse wie bei Handzeichnungen zu erreichen. Gegenüber dem spontanen, unwiderruflichen Pinselduktus ermöglicht der Computer das Replizieren und Widerrufen von malerischen Entscheidungen sowie die Verwendung von Archivmaterial. Beide Erfahrungen werden von Isabella Til in gegenseitiger Reflexion auf der Leinwand verdichtet. Es entstehen hybride räumliche Strukturen aus Licht und Farbe zwischen Pixel und Pinsel.

Isabella Tils Untersuchungen umkreisen das Thema der abstrakten Malerei in einer zunehmend analog-digitalen Umgebung und konzentrieren sich auf die Auswirkungen dieses Wechselspiels auf den Menschen. Die kritische Auslotung des kaum benennbaren „Dazwischen“ in der Mensch-Maschine-Beziehung ist für Isabella Til eine wichtige Herausforderung unseres derzeitigen Denkens.

Johannes Raimann beschäftigt sich intensiv mit den Grundlagen und Bedingungen der Photographie. In seinen Arbeiten betont er das Phos (Licht) in Kombination mit Graphía (Zeichen/Zeichnung). Für ihn sind photographische Technologien ein essentielles Mittel, um politische, ökonomische und soziale Prozesse sichtbar zu machen. Seit einigen Jahren untersucht Raimann verstärkt die Digitalphotographie. Er erschafft reflektierende Oberflächen, die nicht nur die Betrachter, sondern auch globale Produktionsketten und die damit verbundenen ökonomischen und sozialen Verhältnisse widerspiegeln. Der Prozess des Sichtbarmachens und Erfahrbarmachens steht im Mittelpunkt seiner künstlerischen Haltung. Indem Raimann das Material des vermeintlich körperlosen „Digitalen“ zeigt macht er es auch kritisierbar. Er benutzt die Bedingungen und Begrenzungen der digitalen Technologien um neue Perspektiven auf die Nutzung und Auswirkungen dieser Technologien aufzuzeigen.
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(1) Vgl. Vilém Flusser, Gedächtnisse, in: Philosophien der neuen Technologie, Ars Electronica (Hrsg.), Merve Verlag 1988, S. 41ff.